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Montag, 25. August 2014

Wie man aussteigt und nicht mehr zurückkommt, erste Strophe.

Zeit kann man nur genießen, wenn sie nicht präsent ist. Deshalb trage ich keine Armbanduhr, überhöre Kirchenglocken und selbst wenn sich einmal ein Chronometer in meinem Blickfeld findet, nimmt mein Gehirn die Stellung der Zeiger gar nicht als Zeitangabe wahr (weshalb ich regelmäßig 5 mal auf mein Handy schauen muss, wenn ich ausnahmsweise wirklich wissen will, wie spät es ist). Prinzipiell unterscheide ich zwischen dunkel und zu hell. Wenn es mich wieder gelüstet, in einem Meer schwarzer Luft mein Ego in eben diese verpuffen zu lassen - und danach gelüstet es mich denkbar oft -, brauche ich keine Sonnenstrahlen, kein Uhrengeticke und schon gar keinen Wecker. 
Weg mit Zeitplänen, Terminen und Sorgen.

Der zweite Schritt des Planes zum Ausstieg aus der Leistungsgesellschaft beinhaltet das Ablegen der Uniform, die sie uns gab. Damit sind bei weitem nicht nur tatsächliche Uniformen und Anzüge gemeint: Generell muss jedes Kleidungsstück, welches beim Tragen knapp über "kaum spürbar" zu bewerten ist, zuerst vom Körper und auf lange Sicht auch aus dem Kleiderschrank verbannt werden. Im Endeffekt bleiben nur weite Trainungs- und Goahosen übrig, sowie ein paar weite Pullis für den Winter. 
Für Frauen (die generell mit ihren Stoffstückchen liebevollere und intensivere Beziehungen führen als mit Männern) gilt in abgeschwächter Form: Zwar gehören Presswurstkorsette, Rausschälhosen und Zippzersprengkleider anscheinend irgendwie in jede Frauengarderobe und sind selbst mit revolutionären Texten nicht so schnell aus selbiger zu verstoßen, aber das erwartete ich ja auch nicht (von heute auf morgen). Aber Etappenziele nenne ich gern: Weg mit den BHs. Sich verhakende, störende, unnötige Gebilde, die ihre einzige Existenzberechtigung dann erfahren, wenn Frau sie als Geldbörse utilisiert (und nur dann!). Ansonsten: Verbrennen und aufatmen. 

Hat man Uhren und Gürtel entsorgt, darf man das Wort "dürfen" vergessen und sich an die neue, ungewohnte Situation gewöhnen. Am besten liegend. Das klappt ganz gut, bis der Kühlschrank leer und das Klopapier verbraucht ist. Wie's dann weitergeht, schildere ich demnächst.

Dienstag, 19. August 2014

Bart.

Wenn man (wie ich) Künstler - was heutzutage fast schon einer Beleidigung gleichkommt - ist, kann man ohne weiteres mehr als 11 Monate Inaktivität mit "künstlerischer Schaffenspause" titulieren. Dass Unkraut nicht vergeht, wusste der treue Leser natürlich die ganze Zeit hindurch, somit ist es wenig überraschend, dass ich eher später als früher mein Comeback in die Weiten des Webs antreten würde. Den denkwürdigen Tag dieses "Vortritts" (sozusagen das Gegenteil eines Rücktritts) feiern wir heute, bestenfalls ohne Nüchternheit und Verstand.

Doch nun höre ich sie schon kommen, die Fragen meiner schier unmessbaren Menge von Fans, Followern, Pilgern und Aposteln: Was sollte die Absenz? Wieso neigst du neuerdings zur Selbstüberschätzung, die weitaus unmessbarer ist als die "Menge" deiner Anhänger? Und was ist in Deinem Leben passiert?

1.: Künstlerische Schaffenspause, wie gesagt.
2.: Meine Anhänger trag ich an Ketten um den Hals.
3.: Ein Wort: BART.

Doch ist nicht die Rede von Matt Groening's stachelköpfiger Schöpfung, sondern vom vermutlichen Inbegriff von Sexyness. Dieser ist in meinem Antlitz zu finden, untere Hälfte. Ein Protest gegen Gilette, ein Tritt ins Gesäß von Wilkinson. Meine Freikarte zur Leibesvisitation am Flughafen, meine Zufallsvariable beim "willkürlichen" Drogentest bei der Stellung. Mein Fummelbart: Meditation ist, rhythmisch durch in zu streiche(l)n, während man nachdenklich in die Ferne blickt. Achtung: Wenn andere Menschen (v.a. weibliche) dies praktizieren, ist ein gewisser Grad der sexuellen Erregung (beiderseits) nicht auszuschließen.

Es gibt aber auch Bartgegner ("Idioten", "Blinde", "Neider", "Bartlose/Tobiase"), denen die ge- bzw. erwachsene Gesichtsbehaarung gar nicht behagt. Diese motivieren mich, das heere Ziel des Jesusbarts niemals aus den Augen zu verlieren. 

Bart ist ein Statement. Keine gesellschaftliche Konvention nimmt mir die Freiheit, die Bart mir gibt. Bart ist Leben. Bart ist Unabhängigkeit. Bart ist Unbekümmertheit. Bart ist die Liebe zum Natürlichen. Bart wächst mit dem Menschen. Bart entwickelt sich. Vielleicht beudeutet Bart in einem Jahr etwas anderes als jetzt? Vielleicht macht Bart auch zu einem ganz anderen Menschen?

Mein Bart ist präsent, er ist hier, jetzt, in voller, mächtiger, erotischer Fasson. Wären nicht alle Menschen gleich viel wert, wäre mein Bart ein Mehrwert. Anders gesagt: Am Sklavenmarkt würde er meinen Kaufpreis locker um 25% heben. Solange ich aber in einer halbwegs heilen Welt priviliiert herumstrawenzeln darf, nutze ich ihn nur, um hie und da Türen, Tore und BHs zu öffnen. Und manchmal, nur manchmal, stehe ich vorm Spiegel, betrachte ihn von allen Seiten und bin stolz.

Im Gegensatz zu Narziss kann ich übrigens schwimmen und den Bart dabei sogar über Wasser halten.