Eines muss man der gerade einreisenden Jahreszeit ja lassen: Entgehen kann man ihr kaum. Mag sie noch nicht einmal richtig angekommen sein - vielleicht hat sie ja noch etwas zu verzollen -, sie ist schon omnipräsent. Auch ich lege mein Geständnis besser jetzt ab, bevor der Leser mir in ferner Zukunft einmal das Schweigen zum Verhängnis machen will: Ja, selbst ich ergab mich den Sonnenstrahlen und ließ meine Jacke an der Kleiderstange ruhen. Als ich ihr einen letzten Blick zuwarf - ich stand schon in der Tür - schrie sie mir förmlich entgegen:
"Verräter! Lügner! Du bist doch genauso wie alle anderen!"
Natürlich hatte sie recht. Peinlich berührt schnappte das Schloss zu, und sperrte mich aus in eine nicht mehr allzu kalte Welt. Ich seufzte. Eine weitere Seele - in diesem Falle eine allerdings recht seelenlos wirkende Jacke - war mir übel gesinnt. Doch nun kehrt zu machen, um wenigstens diese eine Misere zu klären, war keine Option mehr. Einerseits, weil der frühmorgendliche Zeitdruck sich durch die Kurznachrichten einer geschätzten Engelin nicht wirklich entschärfte, man war ohnehin schon zu spät, Gespräche mit der Wintergarderobe gehörten eher nicht zu den vorzeigenswerteren Ausreden.
Andererseits war auch der Gedanke des Mitnehmens verwerflich. Nicht nur, weil man Schwäche gegenüber Stoff gezeigt hätte. Es war letztlich wirklich kein Jackenwetter mehr.
Dank ausgelassenem Kleidergespräch litt auch der Zeitplan nicht mehr, als er es sowieso schon getan hatte. Ich ließ meine Augen hinter dunklen Gläsern verschwinden, um sie nicht mit der aufdringlichen Helligkeit zu überfordern, hüpfte von Schatten zu Schatten und hielt Ausschau nach rettenden Wolken. Diese wiederum hielten sich eher versteckt.
Als das Gezwitscher der ersten Vögelchen in meinem Gehörgang unerlaubterweise zu kampieren drohte, merkte ich einmal mehr, wie schön doch die winterliche Stille war. Kaum hat man etwas nicht mehr, weiß man es zu schätzen. Siehe auch Klopapier.
Die Flucht in geschlossene Räume war - natürlich - der einzige Ausweg. Kein perfekter, wie sich herausstellen sollte, Sol lachte triumphierend direkt auf meinen Hinterkopf. In Ermangelung der Alternativen musste man jedoch das Beste aus der Situation machen. Natürlich stellt sich die Frage, ob die schulische Geräuschkulisse tatsächlich die bessere Alternative zu ungewollten Ornithologiestunden im Freien war. Ich versuchte, sie mir nicht zu stellen.
Nach täglichen Dramen führte mich der Weg zurück in die vertrauten vier Wände wieder an meiner Jacke vorbei. Sie hatte sich mir abgewendet, sah mir weder in die Augen, noch gab sie einen Laut von sich. Ich handelte nach ihrem Vorbild, konnte mir aber einen kurzen Blick in ihre Richtung nicht nehmen lassen. Zu lange hatte sie mich schon begleitet, zu viel hatten wir schon durchgemacht. Erneut seufzte ich, leise, aber doch hörbar. Der Winter hatte bei seinem Abgang wesentlich mehr mitgenommen als Schnee und Dunkelheit, und ich hegte berechtigte Zweifel, ob er sich bei seiner nächsten Visite an die Rückgabe aller Güter erinnern würde.
Ruhmreich, wie ich war, schloss ich die Vorhänge, warf mir dir Decke über den Kopf und vergrub mich in meiner dunklen Höhle. Das Herauskommen war erst eine Option, als des Lenz Eigenheiten von der Dunkelheit verdeckt wurden.
Sich vor einer Jahreszeit zu verkriechen ist zwar keine dauerhafte Option, jedoch muss ich zu meiner Verteidigung sagen, dass ich ohne jede Chance der Vorbereitung überrumpelt wurde. Fortschritte sind allerdings schon sichtbar, für kurze Zeitspannen ist der Balkon sogar erträglich. Und wenn Pink Floyd Vogelgesänge übertönen,
Lester Belisarios Gläser zwischen Zentralgestirn und mir liegen und meine Gläser des Fusels nicht müde sind, kommen doch fast Frühlingsgefühle auf.
ich verliebe mich jeden tag in deine wortansammlungen
AntwortenLöschenIch wünschte, sie wären annähernd so kathiesk (bzw. kathiesque) wie die deinen.
LöschenIch könnte niemals einen qualitativ so hochwertigen Text über das Zurueckweisen einer Jacke schreiben, du bist ein Genie.
LöschenJa, streu ruhig Salz in meine Wunden.
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